Verbesserung der Versorgung mit Hilfsmitteln für Menschen mit komplexen Behinderungen

Unterausschuss Veranlasste Leistungen

Stand des Beratungsverfahrens

  • 20.02.2025 Beschluss des G-BA zur Änderung der Hilfsmittel-Richtlinie:
    Hilfsmittelversorgung für Menschen mit Behinderungen und spezifischen Bedarfen, Verordnungen im Rahmen der Fernbehandlung und weitere Änderungen
  • 20.04.2023 Einleitung des Beratungsverfahrens; Überprüfung der Hilfsmittel-Richtlinie im Hinblick auf die Versorgung mit Hilfsmitteln für Menschen mit komplexen Behinderungen mit Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche
  • 19.10.2022 Antrag der Patientenvertretung 

 

Hintergrund
Seit bereits geraumer Zeit berichten insbesondere Menschen mit komplexen Behinderungen von langwierigen, bürokratischen und intransparenten Prüf- und Genehmigungsverfahren bei der Beantragung von Hilfsmitteln. Dabei geht es  insbesondere um Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich, wie zum Beispiel Gehhilfen, Kommunikationshilfsmittel, Therapiedreiräder und Rollstühle. Die daraus entstehenden Verzögerungen sind insbesondere für Kinder und Jugendliche mit schweren Behinderungen gravierend, da die ausbleibenden oder verzögerten Hilfsmittelversorgungen dauerhaften negativen Einfluss auf die sensomotorische, kognitive und sozioemotionale Entwicklung nehmen können. Aktuell ist die Problematik u. a. durch eine Petition sowie mehrere Positionspapiere des „Aktionsbündnisses für bedarfsgerechte Heil- und Hilfsmittelversorgung“ stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Patientenvertretung im G-BA hat dies zum Anlass genommen, einen Antrag auf Änderung der HilfsM-RL zugunsten der Betroffenen zu stellen.

Antrag
Der Antrag der Patientenvertretung umfasst:
1.    die Forderung nach einer Klarstellung dessen, dass es sich bei der Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Dies bedeutet, dass die übergreifenden Vorschriften des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung) Teil I in der Prüfung des Versorgungsantrags zur Anwendung kommen müssen. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung ist also nicht nur im Hinblick auf ihre medizinische Notwendigkeit, sondern auch hinsichtlich des mit ihrem verbundenen Potential zur Teilhabe zu prüfen. 

2.    den Vorschlag der Einführung einer qualifizierten Verordnung auf Basis einer umfassenden Bedarfsermittlung für die Verordnung von Hilfsmitteln für Menschen mit komplexen Behinderungen. Dazu bietet sich ein Formular vergleichbar mit dem Muster 61 für die Verordnung von medizinischer Rehabilitation an. Es bietet nach Auffassung der Patientenvertretung die Chance, den Hilfsmittelversorgungsprozess standardisiert, transparent, verbindlich, effizient und zeit- und ressourcensparend zu gestalten. Auf diese Weise wäre die Verordnung von Hilfsmitteln in eine umfassende Befunds- und Bedarfsermittlung eingebettet.  Die Notwendigkeit des Hilfsmittels könnte gleichzeitig damit plausibilierst bzw. umgekehrt ihre Ablehnung nachvollziehbar gemacht werden. 

3.    die Forderung nach einer Bedarfsermittlung für einen längeren Zeitraum. Mithilfe einer sorgfältigen Teilhabeplanung, die auch den erwartbaren Bedarf für ggf. mehrere Hilfsmittel umfasst, könnten die erheblichen Aufwände der Begründung und Prüfung für jedes einzelne Hilfsmittel gemindert werden. 

4.    einen Vorschlag zur Einführung einer qualifizierten Verordnung durch spezialisierte Vertragsärzt:innen, um auch damit den Versorgungsprozess zu beschleunigen und qualitativ zu verbessern. Dies bedeutet eine besonderen Berücksichtigung vorhandener Kompetenzen von Verordner:innen, die die Patient:innen sowie ihr oder sein Lebensumfeld gut kennen, über umfangreiche Kennnisse in der Hilfsmittelversorgung von Menschen mit Behinderung verfügen und regelhaft eine Bedarfsermittlung mit Hilfe eines interdisziplinären Teams durchführen. Hier ist z. B.  an die Sozialpädiatrischen Zentren (SPZs) und die Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderungen (MZEBs) zu denken. Auch Vertragsärzte können mit interdisziplinären Teams zusammenarbeiten, z. B. an Förderkitas, Förderschulen, Werkstätten für behinderte Menschen oder mit spezialisierten Heilmittelerbringern. In diesem Zusammenhang kann auch geklärt werden, wie der Prüf- und Beratungsauftrag des Medizinischen Dienstes nach § 275 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB V in den Versorgungsprozess integriert werden kann. 

5.    den Vorschlag der Einfügung eines gesonderten Abschnitts in die HilfsM-RL mit dem Titel „Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen“, um der Bedeutung der Hilfsmittelversorgung für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gerecht zu werden. Darin könnten die Möglichkeit der qualifizierten Verordnung, die Verordnung durch spezialisierte Vertragsärzte und Zentren und die besonderen Ziele der Versorgung geregelt werden. Zu den besonderen Zielen gehören die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen und die Förderung der sensomotorischen, kognitiven und sozioemotionalen Entwicklung durch die Hilfsmittelversorgung sowie die besonderen Anforderungen an einen Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) für Kinder und Jugendliche. 

Beschluss, Gesetzesänderung und Ergebnis

Der Antrag der Patientenvertretung vom 19.10.2022 war der Startschuss für detaillierte Beratungen zur Hilfsmittel-Richtlinie mit dem Ziel, den Zugang zu Hilfsmitteln für Menschen mit komplexen Behinderungen zu verbessern.

Der G-BA-Beschluss vom 20.02.2025 soll dazu beitragen, dass die sehr anspruchsvollen und zeitintensiven Prüf- und Genehmigungsverfahren effizienter gestaltet werden, so dass am Ende auch Betroffene und deren Angehörige davon profitieren.

Um die Bedürfnisse von Versicherten mit komplexen Behinderungen deutlicher zu machen, ist zum einen in der Hilfsmittel-Richtlinie nun geltendes Recht mit aufgenommen worden, indem zum Beispiel in der Zielsetzung der Hilfsmittel-Richtlinie klargestellt wird, dass die besonderen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen sowie Versicherten mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen bei der ärztlichen Verordnung, aber auch bei der Leistungsentscheidung zu beachten sind.

Da bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich nicht immer die Krankenkasse für die Kostenübernahme zuständig ist und daher die verordnenden Ärzte ggf. unsicher sind, ob sie ein Rezept ausstellen können, wird nun in der Richtlinie darauf hingewiesen, dass – auch wenn die Krankenkasse nicht für die Leistung zuständig sein sollte – die Prüfung der Zuständigkeit durch den erstangegangenen Leistungsträger erfolgt.

Damit die Prüfung durch den Medizinischen Dienst und die Genehmigung durch die Krankenkasse zügiger erfolgen, kann es hilfreich sein, dass ärztliche Verordnungen ergänzende Angaben zum erforderlichen Hilfsmittel enthalten. In der Hilfsmittel-Richtlinie werden nunmehr für die verordnenden Ärztinnen und Ärzte weitere Hinweise zu solchen ergänzenden Angaben bei der Verordnung gegeben, um die spezifischen Bedarfe von Patientinnen oder Patienten in Bezug auf ein Hilfsmittel deutlich zu machen.

Die Änderungen der Hilfsmittelrichtlinie treten nach Nichtbeanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit und nach Veröffentlichung des Beschlusses im Bundesanzeiger in Kraft.

Die Forderung der Patientenvertretung, dass Betroffene mit komplexen Behinderungen, die bereits in speziellen Zentren betreut werden, Hilfe durch zügigere Entscheidungen erhalten, fand zudem kurz vor Beschlussfassung des G-BA nun auch in die Gesetzgebung Eingang. Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) sieht mit einer Änderung des § 33 Absatz 5c SGB V einen erleichterten Zugang zu den benötigten Hilfsmitteln für Menschen mit Mehrfachbehinderung vor, die in einem Sozialpädiatrischen Zentrum oder einem Medizinischen Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen betreut werden. Empfehlen diese Zentren zukünftig die Verordnung eines Hilfsmittels, ist keine Prüfung des Medizinischen Dienstes mehr notwendig. Hier wird nun regelhaft angenommen, dass die Erforderlichkeit des Hilfsmittels vorliegt.

Durch die Beschlussfassung und die Gesetzesänderung im GVSG hofft die Patientenvertretung auf einen schnelleren Zugang zu Hilfsmitteln in der Versorgung von Menschen mit komplexen Behinderungen. Eine weitere Verbesserung der Hilfsmittelversorgung wird ferner von der Einführung der elektronischen Verordnung von Hilfsmitteln ab dem Jahr 2027 erwartet.